Campus der Uni Tübingen

Es gibt sie in Deutschland, die großen Mosaikprojekte. Solche, die Bauherren und Architekten mit Mosaiklegern zusammen bringen und etwas bleibend Schönes schaffen. Im Falle des Kieselsteinmosaiks in Tübingen steckt in diesem Schönen sogar noch Poesie. Den neuen Bau der Molekularbiologie und die bestehenden Gebäude auf dem Unigelände verbindet seit August nämlich ein Weg, der ein Gedicht von Charles Baudelaire aus den „Fleurs du Mal“ – „Blumen des Bösen“ zeigt. Die Worte aus Baudelaires „La Rancon“ – „Das Lösegeld“ schlängeln sich – in Originalsprache – quer über den Campus. 150 Meter weiße Buchstaben aus Carrara-Maromor kontrastieren mit einem Hintergrunds aus schwarzem Basalt.

An einem Ort, wo Bioinformatiker, Chemiker und Pharmazeuten zusammen arbeiten, bekommt der Inhalt des Gedichts besondere Brisanz. Es erinnert den Menschen daran, dass nur ein bewusster, verantwortungsvoller Umgang mit der Natur auf Dauer reiche Ernten bescheren wird.

Die Idee zum Projekt stammt von der Bühnen- und Kostümbildnerin Ilona Lenk. Sie erhielt den Auftrag für die Kunst am Uni-Neubau im Rahmen eines Wettbewerbs. Auf der Baustelle haben Ilona und ihr Mann Valerio Pizzorno auch selbst angepackt. Seite an Seite mit erfahrenen Mosaiklegern, darunter Luciano Bonzini aus Ligurien, der Region rund um Genua, die bekannt ist für die Steinlegetechnik. Sie nennt sich im ligurischen Dialekt „Rissëu“ und ist die älteste Form des Mosaiks überhaupt. Bevor Luciano seine Leidenschaft für Kieselmosaike entdeckt hat, arbeitete er zunächst 10 Jahre als Marmor- und Fliesenleger. Inzwischen hat er viele Auftragsarbeiten und Restaurierungen ausgeführt. In seinem Laboratorio Musivarius in Genua gibt er sein Wissen an Interessierte weiter. „Es gibt nicht viele Leute, die diese Technik wirklich gut beherrschen,“ sagt er. „Mir liegt viel daran, die Fertigkeiten lebendig zu halten, denn nur so kann das Kunsthandwerk weiter bestehen.“

Bei der Rissëu-Technik werden die langen Steine vertikal in ein Gemisch aus Sand, Kalk und Zement gesetzt und mit dem Gummihammer eingedrückt. Anschließend werden die Fugen nochmals mit Material gefüllt und das Mosaik gut gewässert. Danach erlangt es eine Festigkeit und Beständigkeit, die Jahrtausende übersteht. Und eine Patina, die Geschichten erzählt.

Das Projektteam

Konzeption, Organisation, handwerkliche Unterstützung: Ilona Lenk
Handwerkliche Umsetzung: Moreno Altafin, Luciano Bonzini (Laboratorio Musivarius), Giuseppe Donnaloia (CaCO3), Valerio Pizzorno, Luca Riggio (Laboratorio San Luca di Genova)

Das Gedicht zum Kieselsteinweg

La Rançon

L’homme a, pour payer sa rançon,
Deux champs au tuf profond et riche,
Qu’il faut qu’il remue et défriche
Avec le fer de la raison;

Pour obtenir la moindre rose,
Pour extorquer quelques épis,
Des pleurs salés de son front gris
Sans cesse il faut qu’il les arrose.

L’un est l’Art, et l’autre l’Amour.
— Pour rendre le juge propice,
Lorsque de la stricte justice
Paraîtra le terrible jour,

Il faudra lui montrer des granges
Pleines de moissons, et des fleurs
Dont les formes et les couleurs
Gagnent le suffrage des Anges.

Das Lösegeld

Der Mensch hat, dass sein Lösegeld er zahl‘,
Zwei tiefe, reiche Felder Tuffsteinlandes,
Er muss sie mit dem Eisen des Verstandes
Aufwühlen und bebau’n gar viele Mal.

Damit er nur der kleinsten Rose Spriessen,
Nur weniger Halme Blühn und Wachsen schau,
Muss er mit seiner Stirne salzigem Tau,
Muss er mit Schweiss und Tränen sie begiessen.

Ein Feld heisst Liebe, und das andere Kunst.
Und wenn einst, Bösen schreckensvoll und Frommen,
Die Stunde des Gerichts herabgekommen,
Muss er, zu ringen um des Richters Gunst,

Ihm seine erntevollen Scheunen zeigen,
Mit Frucht und Korn und Blumen so gefüllt,
Dass sich, von Duft und Farbenrausch umhüllt,
Die Engel alle huldvoll zu ihm neigen.*

Weitere Infos

* Übersetzung von Therese Robinson, gutenberg.spiegel.de

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