Schöner Schein: Ai Weiwei’s “Sunflower Seeds”

Zuerst habe ich nur die Sonnenblumenkerne gesehen und dachte: Wow, das sieht super aus, diese organischen Teilchen, zu Tausenden angehäuft. Das wäre auch ein schönes Material für ein Mosaik. Am Ende steckte natürlich viel mehr hinter der Ausstellung Sunflower Seeds vom chinesischen Konzept-Künstler Ai Weiwei als der ästhetische Aspekt.

Handgefertigte Sonnenblumenkerne aus Porzellan
Foto von visionet

Entstanden ist das Werk für eine Serie der Tate Modern. Seit zehn Jahren wird jährlich ein Auftrag für einen Installationskünstler vergeben, der die Turbinenhalle füllt – gesponsert vom Konzern Unilever.

1000m² Ausstellungsfläche bietet die riesige Halle, in der von Oktober 2010 bis Mai 2011 Ai Weiwei’s Sonnenblumenkerne zu einem dicken Teppich aufgehäuft wurden.

Perfektion aus Porzellan

Der Effekt muss toll gewesen sein. Über das knarzende und raschelnde Meer von Kernen zu laufen und sich in den Steinen zu wälzen. Leider wurde durch die hohe Besucherzahl zu viel Staub aufgewühlt. So konnte man nach einem Monat nur noch neben den Sonnenblumenkernen entlang laufen.

Moment: Knarzend? So wie wenn man über Kieselsteine läuft?
Ja, Weiwei schafft es, einen zu täuschen – für einen kurzen Augenblick. Man meint echte Kerne vor sich zu sehen und unter sich zu fühlen. Und dann nimmt man sie in die Hand oder schaut sie einfach nur genauer an und merkt: das sind keine echten Sonnenblumenkerne. Und: Genau, das hört man ja auch!

Traditionelle Handarbeit

Man mag es kaum glauben: Jeder einzelne Kern wurde tatsächlich handgefertigt, von vielen Bewohnern des chinesischen Dorfes Jingdezhen. In kleinen Porzellanmanufakturen wurden sie bei 1300 Grad Celsius gebrannt, handbemalt und erneut bei 800 Grad gebrannt. Und es waren natürlich noch eine große Zahl weiterer Schritte notwendig, z.B. Waschen und Trocknen.

Fast 2 Jahre hat es gedauert, um die 100 Millionen Kerne für die Ausstellung im kleinen Dorf Jingdezhen, ca. 1000 Kilometer von Peking, herzustellen. Fast jeder Bewohner war auf irgendeine Weise beteiligt. Ein wahres Mammutprojekt also – und so schwer wie eine ganze Mammutherde. 150 Tonnen der kleinen Kerne wurden nach London transportiert und dann in der großen Turbinenhalle des Museums aufgeschüttet.

Sunflower Seeds, Tate Modern
Foto von wetwebwork


Energielieferant und Symbol für die Revolution

Sonnenblumenkerne sind in China ein beliebter Snack, den man überall auf der Straße bekommt. Gleichzeitig, so sagt der Künstler im Video weiter unten, sind sie ein Symbol für die Revolution. Mao Zedong ist während der Kulturrevolution mit der Sonne und die Bevölkerung mit Sonnenblumen verglichen worden, die zu ihm aufschauen. Die Kerne waren in Zeiten des Hungers aber auch willkommener Nahrungslieferant.

Regimekritiker Ai Weiwei

Der Künstler wurde 1957 in Peking geboren und setzt sich seit vielen Jahren für die Menschenrechte in seinem Heimatland ein. Aufgrund seines politischen und gesellschaftlichen Engagements ist er regelmäßig Sanktionen durch chinesische Behörden und die Polizei ausgesetzt.

Sunflower Seeds, Tate Modern
Foto von Marie A.-C.

Mich beeindruckt, wie Ai Weiwei’s Installation die Menschen über fast alle Sinne – Riechen, Fühlen, Hören und Sehen – erreichte. Gleichzeitig liegen so viele Details aus Chinas Geschichte und Handwerk in seiner Installation verborgen, auf die er mit der Ausstellung aufmerksam machte.

Tausend Fragen kamen mir beim Anschauen der Fotos und Videos zur Installation in den Sinn: Ich musste sofort an das Vorgaukeln einer schönen, falschen Welt im Kommunismus denken. In der alle gleich sind, keiner farbig heraussticht. Und dennoch ein Individuum ist. Gleichzeitig ist die Porzellanherstellung die Jahrtausende alte Kunst, die uns sofort einfällt, wenn uns jemand die Stichworte China und Kunst hinwirft. Im Video zur Ausstellung wird klar, was für ein Aufwand die Porzellanherstellung ist. In der traditionellen Form wie im Rahmen der Produktion für Sunflower Seeds geschieht die Herstellung aber leider kaum noch.

Was ist deine Meinung zur Ausstellung? Ich freue mich über deinen Kommentar!

Weitere Infos zu Ai Weiwei

  • Bericht zur Ausstellung auf tate.co.uk.
  • Artikel zur Ausstellung auf bbc.co.uk.
  • Der Dokumentarfilm Never Sorry von Alison Klaymann (2012) zeigt Ausschnitte aus drei Jahren von Ai Weiweis Leben, darunter auch seine Verhaftung in 2011.
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