Die Watts Towers von Simon Rodia

Sie wirken futuristisch und erinnern an die Bauwerke Antoni Gaudís. Die Watts Towers im gleichnamigen Armenviertel Watts, weit ab vom Touristentrubel in Los Angeles.

Von 1921 bis 1954 arbeitete Sabato „Simon“ Rodia an den monumentalen Konstruktionen aus Beton, Stahl und recycleten Materialien. Der Künstler selbst nannte die Sammlung von verzierten Türmen, Bogengängen, Brunnen und anderen Skulpturen Nuestro Pueblo – Unser Dorf.

Watts Towers Los Angeles
Foto von cahearybear

Die Geschichte von Simon Rodia klingt wie ein Märchen: Er stammte aus Ribottoli, einem kleinen Dorf im Hinterland von Neapel.

Als Jugendlicher folgte er seinem Bruder in die Vereinigten Staaten, um sein Glück in den Kohlebergwerken in Pennsylvania zu finden.

Der Traum vom großen Geld blieb jedoch unerfüllt: Statt Reichtum sah Rodia nur Elend, sein Bruder kam bald bei einem Grubenunfall ums Leben. Der junge Einwanderer machte sich auf an die Ostküste und gründete dort eine Familie. Doch auch hier fand er kein Glück. Seine Tochter starb früh, seine Ehe scheiterte. Er begann mit dem Trinken.

Unermüdlicher Antrieb

Trocken und mit einem kleinen Ersparnis in der Tasche tauchte er nach einigen Jahren in Los Angeles wieder auf. Er hatte sich in den Kopf gesetzt , „etwas Großes“ zu schaffen.

Auf der Suche nach einem Grundstück fand er schließlich im Immigrantenviertel Watts ein Areal, das er sich leisten konnte, um seinen Plan zu verwirklichen. Hier richtete er sich spartanisch in einer Holzhütte ein. Während er tagsüber auf verschiedenen Baustellen arbeitete, nutze er jede freie Stunde für die Arbeiten an den Türmen und Skulpturen.

Watts Towers Portal
Foto von rocor

Genialer Einzelgänger

Während all der Jahre nutzte Rodia weder Gerüst noch Kran. Niemand gab ihm Anleitung oder half ihm bei der Arbeit. Keine einzige Schraube oder Niete hält die Stangen der Türme. Körperlich, kreativ und auch ingenieurstechnisch gesehen ist „Nuestro Pueblo“ ein Meisterwerk.

Sein Material fand der nur 1,50 Meter große Mann ausschließlich auf der Straße. Maschendraht, Schrott, Stahl, Kacheln, Glasflaschen, Muscheln, Ziegel – die öde Gegend war für ihn eine perfekte Fundgrube. Manchmal suchte er stundenlang entlang der nahegelegenen Bahntrasse nach neuem Zierwerk. Auch die Kinder im Viertel versorgten ihn ständig mit Kleinteilen.

Simon Rodia
Foto von yoursecretadmiral

1954 schließlich, nach 34 Jahren Arbeit, verschenkte Rodia das Grundstück an seine Nachbarn und zog sich nach Nordkalifornien zurück. Er wolle „im Kreise seiner Familie“ sterben, soll er gesagt haben. Elf Jahre später starb er, ohne noch mal einen Fuß auf das Eckgrundstück im Elendsviertel gesetzt zu haben.

Turmbau als Katharsis?

Seine Motivation ist bis heute nicht ganz klar. Es wirkt ein wenig so, als hätte sich Rodia all den Ballast von der Seele schaffen wollen, den er in seinem Leben angesammelt hatte.

Eine andere Theorie besagt, dass er inspiriert wurde von der „Festa dei Gigli“, dem Lilienfest, das alljährlich in der Nähe seines italienischen Heimatdorfes zelebriert wird. Traditionell fertigen die Handwerker aus der Region pyramidenförmige Holzkonstruktionen an, die mit Pappmaché verziert werden. Sie zeigen religiöse, historische oder aktuelle Themen und werden im Rahmen einer Prozession mit Kerzen und Blumen durch die Stadt getragen. Der Rekord der Turmhöhe liegt bei 25 Metern.

Türme der "Festa dei gigli"
Foto von klio

Späte Würdigung

Ähnlich turbulent wie Rodias Leben ist auch der Umgang mit seinem Nachlass. 1959 versuchte das Bauamt entgegen zahlreicher Proteste von Kunstliebhabern und Anwohnern die Türme abzureißen. Doch die Towers hielten stand, während der Abrisskran in die Knie ging. Im Jahr 1975 ging Rodias Werk an die Stadtverwaltung über, 1978 an die kalifornische Naturschutzbehörde. Erst 1990 ernannte es das US-Innenministerium zum Nationaldenkmal.

Watts Towers Briefkasten
Foto von mistersmed

Die späte Würdigung bleibt nicht ohne Folgen. 90 Jahre Witterung, Erdbeben und andere Umwelteinflüsse haben ihre Spuren hinterlassen.

Inzwischen versucht das Los Angeles County Museum of Art (LACMA), zu dem die Watts Towers seit 2010 gehören, das Kunstwerk vor dem Verfall zu retten. Eine Instandhaltung lässt sich von den Eintrittsgeldern alleine allerdings nicht finanzieren. Mit ihrer versteckten Lage fernab vom Trubel in Disneyland und Downtown zieht die skurrile Sehenswürdigkeit zu wenige Besucher an.

Bleibt also zu hoffen, dass Spendengelder und Besucherzahlen wachsen, um das Lebenswerk Rodias zu erhalten. Ich finde, allein die Willenskraft des Künstlers und der Mut, es mit seinen bloßen Händen zu schaffen, haben es verdient!

Quellen und weitere Infos:

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